Sportwissenschaften – im Plural?

Bericht zur 7. Jahrestagung der SGS
12.-13.02.2015, am Institut für Sportwissenschaften der Universität Lausanne

Mit Blick auf die Tatsache, dass die Sportwissenschaft – und die Schweizer Sportwissenschaft im Speziellen – durch eine zunehmende Ausdifferenzierung geprägt ist und sich deshalb mehr denn je die Frage nach dem identitätsstiftenden Kern stellt, der die verschiedenen Teilfächer verbindet, wurde für die diesjährige Jahrestagung der Titel „Sportwissenschaften – Im Plural?" gewählt. Die Gesprächsfähigkeit und Gesprächsbereitschaft, welche als grundlegende Voraussetzung für eine problemorientierte interdisziplinäre Sportwissenschaft angeschaut werden kann, wurde während den beiden Kongresstagen von den knapp 200 teilnehmenden Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftlern im Rahmen von 4 Hauptreferaten, einer Podiumsdiskussion, 10 thematisch sehr unterschiedlichen Symposien, sowie 37 Posterpräsentationen unter Beweis gestellt.

Hauptreferate

Nach dem Input von Prof. Dr. Achim Conzelmann über den Stand der Schweizer Sportwissenschaft wurde klar: Die Sportwissenschaft in der Schweiz wächst und floriert! Dies zeigt unter anderem an der Zunahme von Publikationen, einem wachsenden Anteil von akquirierten Drittmitteln, mehr eingerichteten Professuren wie auch an den in den letzten zehn Jahren rapide gestiegenen Studierendenzahlen.

Nach dieser kurzen Einführung zur „Lage der Nation" begrüsste Prof. Emeritus Jean Camy (Université Claude Bernard Lyon 1, France) zum ersten Hauptreferat. Unter dem Titel „A state of the art of Sport Sciences in Europe: a ‘Science Studies’ viewpoint" zeigte er, dass die Sportwissenschaft auch in Europa ein aktives Forschungsfeld ist, welches sich in den vergangenen 20 Jahren etabliert hat und an welchem sich etwa 150000 Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler beteiligen. Allerdings stehe sie immer noch vor schwierigen Herausforderungen. So werde z.B. die Sportwissenschaft immer noch von etablierten Disziplinaritäten dominiert, was sich daran zeige, dass das Feld des Sports oft nicht mehr als ein Anwendungsfeld für Wissen aus anderen Disziplinaritäten sei. Dadurch werde allerdings die Etablierung einer eigenständigen interdisziplinären Sportwissenschaft beeinträchtigt. Gerade der zunehmende Gesundheitsbezug ist vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen, da er die Gefahr birgt, die Sportwissenschaft in die Gesundheitswissenschaften integrieren zu wollen, wie dies etwa in den Vereinigten Staaten und Australien bereits geschehen ist.

In einem berührenden Arbeitskreis wurde am Donnerstag Nachmittag an das wissenschaftliche Vermächtnis von Prof. Dr. Arturo Hotz erinnert, einem der einflussreichsten Schweizer Sportwissenschaftler der letzten Jahrzehnte. Dabei wurde das Lebenswerk des im Juli des vergangenen Jahres – viel zu früh – verstorbenen Arturo in vier Referaten von Freunden und wissenschaftlichen Wegbegleitern beleuchtet. In den Ausführungen von Urs Rüdisühli zu Arturo Hotz, dem Sportpraktiker, von Pius Disler zu Arturo Hotz, dem Sportpädagogen, von Walter Mengisen (gelesen von Urs Rüdisühli) zu Arturo Hotz, dem Sporthistoriker und Ernst-Joachim Hossner zu Arturo Hotz, dem Sportmotoriker, wurde dessen ganzheitliches Wirken noch einmal in eindrücklicher Weise deutlich.

Das zweite Hauptreferat, gehalten von Prof. Mike McNamee (Swansea University, Wales), trug den Titel „Innovative sports medicine treatments and the placebo effect: ethical and epistemological considerations". Darin wurden weniger Antworten geliefert als viel mehr Fragen gestellt, welche gerade für die multi- und interdisziplinäre Arbeit von grösster Relevanz sind. Den Ausgangspunkt bildete die philosophische Frage danach, was Evidenz ist. Auf eindrückliche Weise wurde aufgezeigt, dass sich die Wissenschaft und die Medizin oft auf einem schmalen Grat bewegen, wenn es darum geht, Anweisungen für die Praxis im Spitzensport zu geben, da viele der verwendeten Behandlungsmethoden mit entsprechenden Unsicherheiten verbunden sind. Denn oft sei die Effektivität einer Behandlungsmethode nicht eindeutig und nicht selten herrscht Unklarheit über mögliche Nebenwirkungen. Erschwerend komme hinzu, dass der Spitzensport nach schnellen Rezepten verlangt und die verschiedenen Stakeholder unterschiedliche Interessen verfolgen. Letztlich gehe es bei der Wahl einer Behandlung deshalb immer um ein Abwägen zwischen Kosten und Nutzen und letztlich eben um die Frage, welches Risiko dem zu behandelnden Athleten zumutbar ist.

Zu Beginn des zweiten Tages durfte Prof. Dr. Ruth Loos (Mount Sinai Hospital, NY, USA) zum dritten Hauptreferat mit dem Titel „The genetics of physical activity - insight from twin studies" begrüssen. Darin wurde auf Zwillingsstudien eingegangen, die zeigen, dass 43-49% der interindividuellen Variation bei der körperlichen Aktivität auf genetische Unterschiede zurückgeführt werden können. Zur Berechnung wurde davon ausgegangen, dass eineiige Zwillinge 100% der Umwelt und 100% des Erbguts teilen, während dies bei zweieiigen Zwillingen zwar auch 100% der Umwelt, jedoch nur 50% des Erbguts sind. Während in Tierstudien Gene identifiziert werden konnten, welche in direkter Verbindung mit körperlicher Aktivität stehen, sei dies bei Menschen noch nicht gelungen. In laufenden gross angelegten Studien, welche das gesamte Erbgut berücksichtigen, seien jedoch erste vielversprechende Verknüpfungen mit der körperlichen Aktivität entdeckt worden. Diese Befunde bedürften allerdings weiterer Bestätigung. Zum Schluss wurde auf den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Übergewicht unter Berücksichtigung der Gene eingegangen. Hier zeigte sich, dass körperliche Aktivität die genetisch angelegte Anfälligkeit auf Übergewicht um 30-40% reduzieren kann.

Die 7. SGS Tagung fand mit dem vierten Hauptreferat von Prof. Francesca Amati (Université de Lausanne, Schweiz) zum Thema Titel „Effects of exercise on the age-related risk for diabetes" einen würdigen Abschluss. Dabei wurde deutlich, dass die drastische Zunahme an Diabetes in den vergangenen Jahren nicht bloss auf die mit dem demografischen Wandel verbundene Alterung der Bevölkerung sondern viel stärker auf Bewegungsmangel zurückzuführen ist. Die Probleme werden vor allem in der mit dem Bewegungsmangel verbundenen beschränkten Anzahl und verminderten Funktion der Mitochondrien sowie der damit verbundenen Insulinresistenz gesehen, weil dadurch der Glukose- und Fettstoffwechsel beeinträchtigt wird. Auch älteren Personen sei es jedoch möglich, durch regelmässige Bewegung, den Anteil Mitochondrien in den Zellen zu erhöhen. Als Empfehlung wurden 150 Minuten Bewegung pro Woche bei moderater Intensität angegeben, also 30 Minuten an mindestens 5 Wochentagen, um das Risiko von Diabetes zu verringern.

Generalversammlung

Die 7. Ordentliche Generalversammlung der SGS wurde am Abend des 12. Februar abgehalten. Als wichtigstes und heiss diskutiertes Traktandum gilt sicher das von Prof. Dr. Ernst-Joachim Hossner vorbereitete Dossier zur Gründung einer wissenschaftlichen Zeitschrift in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Sportwissenschaftlichen Gesellschaft (ÖSG). Zudem wurde Prof. Dr. Kurt Murer als verdientes langjähriges Mitglied des Vorstandes verabschiedet und für seine Verdienste als Vizepräsident und Vertreter der Netzwerkkonferenz verdankt.